Archiv der Kategorie: Experimentelle Zenkünste

Manchmal möchte ich aus meiner Haut

Manchmal möchte ich aus meiner Haut,
Gehörtes verstummen machen und
Gefühltes ausradieren.
Gleichgültiger ertragen,
wenn nicht Gleiches gültig.
Umschattet sein vom
gleißenden Licht des Gesehenen.

Manchmal möchte ich aus meiner Haut.
Nicht Stimmungen, die niemand kennt,
auf meinen zarten Saiten spielen lassen.
Nicht Löcher stopfen in den
Mauern, die um mich gebaut.
Nicht Bedeutungsloses sehen im
scheinbar Heiligen.
Nicht Gedanken haben,
die kein Mensch versteht.

Manchmal möchte ich aus meiner Haut,
um der Welt den weiten Weg zu zeigen,
den ich schon zu ihr gegangen.

Manchmal möchte ich aus meiner Haut…

Achtsamkeit ist nichts für Weicheier!

Man könnte das Thema “Achtsamkeit” in die “Eso-Schublade” stecken und es dabei bewenden lassen, am Mittwoch Abend einen Stein achtsam von A nach B zu legen, oder ein Tuch, ein Seil, den eigenen Körper achtsam zu bewegen.
Spätestens um 22 Uhr trampelt man dann wieder auf die Straße und marschiert rücksichtslos in Richtung U-Bahnhof…

Fragen wir doch ruhig einmal – wie die Kinder in der Schule in Anbetracht der Infinitesimalrechnung: Wozu braucht man Achtsamkeit im richtigen Leben?

Dazu fiel mir in ganz anderem Zusammenhang kürzlich ein Buch in die Hände, in dem es darum geht, wie Unternehmen unerwartete Situationen meistern können, ohne dass Menschen oder das Unternehmen zu Schaden kommen und ohne die Situation eskalieren zu lassen (siehe Angabe am Ende dieses Beitrags).

Es geht dabei keineswegs um Krisenmanagement! Sondern darum, Krisen gar nicht erst entstehen zu lassen. Denn: “In den frühesten Stadien macht sich das Unerwartete durch kleine Diskrepanzen bemerkbar, die schwache Warnzeichen kommenden Ärgers aussenden. Diese Hinweise sind schwer zu entdecken, doch wenn man sie entdeckt, kann man die Probleme noch leicht beheben.”

Begrenzte Sicht
Begrenzte Sicht

Diese Hinweise aufzuspüren, ist nicht einfach. Denn wir tendieren alle dazu, auf schwache, undeutliche Signale gar nicht oder nur nachlässig zu reagieren!
Doch wenn man, Sie ahnen es, achtsam mit den eigenen Aufgaben, mit Verantwortung, Entscheidungen und den Kollegen/Mitarbeitern umgeht, können Diskrepanzen auffallen und Probleme gar nicht erst entstehen.

So erkennt z.B. die Besatzung eines Flugzeugträgers per Funk an der Stimme des Piloten, der zur Landung ansetzt, ob dieser in hohem Maß gestresst ist und die Landung möglicherweise nicht beim ersten Versuch klappt.
Alle Landungen werden aufgezeichnet. Klappt eine Landung nicht, wird diese von der ganzen Besatzung analysiert – nicht um jemanden bloß zu stellen oder zu beschuldigen, sondern um daraus für die Zukunft zu lernen!

Verantwortliche in Atomkraftwerken oder Feuerwehren verlagern in Extremfällen die Entscheidungsbefugnis auf den Mitarbeiter, der die meiste Kompetenz und die meiste Erfahrung für den konkreten Fall aufweist – unabhängig von dessen Platz in der Hierarchie.

Fehler passieren immer, sie sind menschlich, aber sie dürfen niemals dazu führen, dass man wie das sprichwörtliche Kaninchen gelähmt vor der Schlange steht und nichts mehr unternimmt, um die Situation zu meistern.
Man muss lernen, flexibel zu denken und zu handeln, sich möglichst viele und möglichst komplexe Situationen vorzustellen und in Gedanken durchzuspielen. Die Welt ist komplex, unbegreiflich, unberechenbar. Je umfassender wir sie wahrnehmen können, umso eher können wir erkennen, wo überall sich kleine Veränderungen auswirken können, und umso gezielter können wir reagieren.

Komplexität
Komplexität

Nichts anders erfahren und üben wir, wenn wir an der einen Ecke eines Tuchs vorsichtig ziehen … und plötzlich die ganze andere Seite des Tuchs vom Tisch rutscht!
Dann haben wir etwas über das “System Tuch” gelernt, das fließt und irgendwann vom eigenen Gewicht gezogen wird und dabei hohe Geschwindigkeiten erreichen kann. Was wir niemals erwartet haben!

Das System Tuch
Das System Tuch

Achtsam zu agieren ist anstrengend. Es erfordert eine hohe Konzentration und Willensstärke, sich nicht von unvorhergesehenen Dingen (und sei es der plötzliche Lärm von der Baustelle nebenan) ablenken und/oder erschrecken zu lassen. Das muss man üben – immer und immer wieder.

Und mit jeder  Stunde der Übung im Kleinen mit dem Stellen von Konstellationen, dem Malen von Linien, dem Bewegen des eigenen Körpers und der Erfahrung von dessen Grenzen nimmt man etwas von dieser Achtsamkeit mit ins “richtige” Leben, in den Alltag, den Beruf, die Familie, den Straßenverkehr…

… so dass wir immer besser damit umgehen können, wenn Partner, Kinder, Kunden, Kollegen und Vorgesetzte plötzlich anders reagieren als erwartet!

(Fortsetzung folgt!)

Literatur:
Weick, Karl E.; Sutcliffe, Kathleen M. (2010): Das Unerwartete managen. Wie Unternehmen aus Extremsituationen lernen. 2. vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart: Schäffer-Poeschel

Tendenz lustlos?

Neulich saß ich abends in meiner Kuschelecke. Wie so oft hatte ich mir ein bisschen „Arbeit“ mitgenommen, da ich abends nochmal für ein paar Stunden sehr gut und v.a. kreativ arbeiten kann:
Ein Konzept für einen Kunden, die „Hausaufgaben“ für die Experimentelle Zenkünste-Stunde am Mittwoch Abend im Institut Integrales Tai Ji Quan & Qi Gong und ein Fachbuch über die funktionale Sicherheit von Maschinen und Anlagen.

Reichlich seltsames Zeug, das wenig miteinander zu tun hat, würde man vermuten… Und ich war müde und hatte zu nichts so recht Lust. Ziemlich unmotiviert nahm ich das eine, dann das andere zur Hand … um es gleich wieder wegzulegen.

Nun überlegte ich: finge ich nun an zu lesen (wozu es mich noch am ehesten drängte), würde ich die anderen beiden Dinge überhaupt nicht mehr machen. Das Konzept eilte aber ein wenig, außerdem hatte ich für den kommenden Tag schon anderes geplant. Und, nun gut, auf die Hausaufgaben hätte ich schon ‚vergessen‘ können, aber das verbot mir eigentlich mein Stolz.
Also, Ergebnis meiner Überlegungen war, ich fange mal mit diesen „Hausaufgaben“ (nämlich Linien malen) an, das sollte in etwa 20 Minuten erledigt und damit vom Tisch sein. Und dann würde ich weiter sehen.

Gesagt, getan. Die Aufgabe war: Male eine Linie, die häufig abrupt die Richtung ändert, etwa so, wie sich eine Ameise bewegt oder ein Huhn.
Ich nahm Bleistift und Papier, stellte mir ein paar Momente lang Ameisen und Hühner vor – ein Marienkäfer drängte sich mir auch noch ins Bewusstsein, keine Ahnung, woher er kam – und begann ganz unwillkürlich zu zeichnen.

Linien mit abrupten Richtungswechseln
Linien mit abrupten Richtungswechseln

… zuerst die Ameise … dann das Huhn … und schlussendlich schlug auch der Marienkäfer noch seine Kapriolen.

Dann war da auch noch die Aufgabe, Linien zu malen, die man singen kann (hm, na ja, die man singen kann, wenn man singen kann? Nein, die jeder – auch ich – singen können sollte). Schon schwieriger!
Ich nahm ein neues Blatt, legte den Bleistift beiseite und schnappte mir meine ca. 35 Jahre alten Pelikan-Wachsmalkreiden. (Ja, sie haben irgendwo im Schrank überdauert, um nun endlich ihre wahre Berufung gefunden zu haben!)

Linien, die gesungen werden können
Linien, die gesungen werden können

Über meine Versuche, die Linien zu singen, schweige ich mich hier aus … aber ich stellte mir zumindest vor, wie sie jemand, der es kann, singen würde. Meine Stimme tut nicht immer das, was mein musikalisches Ohr sich vorstellt … das frustriert leider manchmal. Aber ich hatte trotzdem einigen Spaß mit mir selber, während ich darüber sinnierte und malte …

Danach legte ich die Malutensilien weg und nahm – ganz selbstverständlich – das Konzept zur Hand. Wie durch ein kleines Wunder purzelten die Ideen nur so aus mir heraus. Das Konzept gedieh, es funktionierte wie am Schnürchen. Und nach gar nicht allzu langer Zeit hatte es Hand und Fuß. (Mal sehen, was der Kunde dazu sagt, aber das ist ja eigentlich auch egal. Für mich war es erstmal ein Wurf, der sich sehen lassen konnte.)

… und dann kam ich eben doch noch zu meinem Buch und hatte auch noch genügend Zeit, um mich in die Sicherheitsgrundnormen EN ISO 12100, ISO 13849-1, IEC 62061, Performance Level und Safety Integrity Level, Gefährdungsanalyse, Risikoeinschätzung und Risikobeurteilung zu vertiefen.

Es mag zwar nicht jeder mit mir einer Meinung sein, aber für mich war es ein rundum gelungener und kreativ-produktiver Abend, der mich müde aber glücklich ins Bett fallen ließ.
… und angefangen hatte es damit, dass ich meine Lustlosigkeit mit ein paar einfachen Linien aufs Papier (ver-)bannte!

Wenn Sie das nächste Mal „null Bock“ auf irgendwas haben, versuchen Sie es doch mal damit, singend ein paar Linien zu malen!
Und berichten Sie uns über Ihre Erfahrungen!

4 … oder: die ideale Zahl

Die Zahl 4 als Ordnungsprinzip ist in der Kulturgeschichte allgegenwärtig und ist ein Ausdruck der weitesten Entwicklung. Sie stellt das Ende eines Zyklus dar, der mit einer Zweiheit – einem Dualismus – beginnt.

Am Anfang steht die 1, die Einheit, das Ungeteilte. Teilt dieses Eine sich (Yin&Yang, Licht&Dunkel, männlich&weiblich, Wasser&Erde…), entsteht eine Zweiheit und mit ihr ein Dualismus der zwei scheinbar unvereinbaren Gegensätze.

Indem man “Gegensätze” nicht dual, sondern polar betrachtet – also zusammengehörig wie die Pole eines Magneten – nimmt man einen übergeordneten Sinn an, der die Gegensätze vereinen kann. Das Eine, Ungeteilte, kommt wieder hinzu als Drittes … und wir sind bei der Zahl 3.

Die 2 kann aber nun etwas eigenes: die beiden Elemente kann man zueinander in Beziehung setzen. Dieses zu jenem, jenes zu diesem, dieses zu diesem und jenes zu jenem. Dazu benötigt man die 1 nicht! Und, es entstehen 4 Möglichkeiten der Kombination.

Damit ist man tatsächlich am Ende eines Zyklus, denn aus den Zahlen 1, 2, 3 und 4 lassen sich alle anderen Zahlen ableiten. 1+2+3+4=10, womit diese vier Ziffern auch die Basis des Dezimalsystems darstellen. Ganz zu schweigen vom binären Zahlensystem, das genau auf diesen zuvor beschriebenen 2² Beziehungen aufbaut. Kein Wunder, dass die Phythagoreer die Zahl 4 als ideale Zahl betrachteten.

2×2: das Rechteck, oder in der Sonderform ein Quadrat, ist in praktisch allen Kulturen Grundlage für die Gestaltung von Häusern, Feldern und Dörfern. Das Feng Shui in China baut ebenso darauf auf, wie die Ordnung der Kelten oder Maya. Und auch in unserer Sprache erinnert das Wort “Stadt-VIERTEL” an diese Grundlage.
Selbstverständlich denkt man nun auch an die 4 Himmelrichtungen, 4 Mondphasen, 4 Jahreszeiten…

…und weiter an 4 Kardinaltugenden (Weisheit, Tapferkeit, Mäßigung, Gerechtigkeit), die 4 apokalyptischen Reiter in der Offenbarung des hl. Johannes, 4 Vedas der Inder, 4 heilige Bücher des Islam, 4 Evangelien, die 4 edlen Wahrheiten des Buddhismus, das Tetragramm des Gottesnamens in der hebräischen Bibel, das Kreuz mit seinen vier Dimensionen … und, nicht zuletzt, an den Archetyp der Quaternität, den C. G. Jung eingeführt hat, mit dem das trinitarische Denken abgelöst werden sollte.

Raum
Raum (sichtbares Licht, Dimensionen, Weltraum, Raumzeit)
(Ölkreide auf Papier, © ars73, 2008)

Die 4 drückt immer etwas aus, was eine weitere Entwicklung darstellt, etwas, das über das hinausgeht, was gemeinhin durch eine Dreiheit ausgedrückt wird.
So kritisierte im 15. Jahrhundert der mystische Dichter Kabir Hinduismus und Islam gleichermaßen, wenn er sich darüber beklagt, dass Millionen von Menschen die Drei (Reichtum, Sinneslust und rechtes Verhalten) suchen. Das einzig Erstrebenswerte sei jedoch das Vierte: die Erlösung von der Unrast des geschöpflichen Lebens. [zit. nach Endres, Schimmel (1995)]

Friedrich Weinreb, der sich intensiv mit der Zahlenmystik in der hebräischen Bibelsprache auseinander gesetzt hat, findet so auch weitere Entsprechungen der Zahl 4. Er beobachtet z.B. 4 Elemente der Sprache:
– Buchstaben (geschriebene)
– Laute (gesprochene Konsonanten der hebräischen Sprache)
– Vokale (die Farbe der Laute)
– die Melodie des gesprochenen Wortes oder Satzes.

Dieser 4-heit spüren wir gerade in den Experimentellen Zenkünsten nach, wenn wir sinnfreien Lautmalereien zuhören und Sprache auf eine ganz andere Art erhören, erspüren und erfahren.

Und im Tai Ji Quan und Qi Gong spüren wir weitere 4-heiten unseres Körpers:

  • 4 Temperamente, die auf die 4 Gallen beruhen, der schwarzen, der roten, der weißen und der grünen
  • 4 Extremitäten
  • Lunge, Atem, Herz und Kreislauf, die 4-heit, die für unser Leben steht
  • und das Verhältnis 1:4 von Lunge zu Herz, denn auf einen Atemzug kommen etwa vier Herzschläge.

Vielleicht achten Sie in Zukunft beim Üben von Tai Ji und Qi Gong oder auch beim Experimentieren mit den Zenkünsten einmal bewusst auf diese Vierheiten.
Wenn Ihnen weitere auffallen, freuen wir uns über Kommentare und eine Diskussion.

 

Literatur:
Endres, Franz Carl; Schimmel, Annemarie (1995): Das Mysterium der Zahl. Zahlensymbolik im Kulturvergleich. Sonderausgabe. München: Diederichs (Diederichs gelbe Reihe Weltkulturen, 52).
Weinreb, Friedrich (1987): Leiblichkeit. Unser Körper u. seine Organe als Ausdruck d. ewigen Menschen. 1. – 3. Tsd. Weiler im Allgäu: Thauros.
Weinreb, Friedrich (2007): Zahl, Zeichen, Wort. Das symbolische Universum der Bibelsprache. Neu gestaltete inhaltlich unveränderte Ausgabe. Zürich: Verlag der Friedrich-Weinreb-Stiftung.

Von der Be-WERT-ung zum Wert

Ein Thema, das sich für einen Anfänger der Experimentellen Zenkünste z.B. in den Konstellationsspielen aufdrängt, sind Bewertungen. War das jetzt gut, was ich gemacht habe, oder nicht?
Nun geht es genau darum, diese Fragen und Bewertungen erst einmal wahrzunehmen … und irgendwann auch sein zu lassen. Es ist egal…

Aber ist das so sinnvoll? Wäre es wirklich gut, wenn unser Leben frei von Bewertungen wäre?
Ich meine, nein!

Fangen wir ganz archaisch an. Der Jäger und Sammler, der auf der Suche nach Nahrung ein Tier erlegt oder Früchte gefunden hat, musste immer entscheiden, ob diese Nahrung genießbar war oder nicht. Das ist eine Bewertung! Und noch dazu eine sehr wichtige!
Ein leitender Angestellter oder Unternehmer auf der Suche nach einem neuen Mitarbeiter: Der neue Mitarbeiter muss bewertet werden, ob er/sie für die Stelle geeignet ist und die notwendigen Fähigkeiten mitbringt. Kein beliebtes Thema! Aber notwendig!
Jeder Liebende bewertet seine Liebe! Sonst wäre die Liebe nicht da… Irgendetwas hat er oder sie in den Augen des Liebenden, was andere nicht haben.
Bewertung ist unvermeidlich. Schon die Tatsache, dass man liebt, ist eine Bewertung. Und das ist gut so!

In unserer Gesellschaft wird sehr viel Unwichtiges bewertet. Modische Kleidung, Äußerlichkeiten und Statussymbole spielen eine größere Rolle als der Mensch, der in der Kleidung steckt!
Dort, wo allerdings eine ehrliche Bewertung angebracht wäre, findet sie in der Regel nicht nur nicht statt, sondern wird nachgerade bekämpft unter dem Deckmäntelchen der Chancengleichheit o.ä.
Nehmen wir die Berufswahl: eine liebevolle Be-WERT-ung eines Jugendlichen würde so manchen unglücklichen Erwachsenen vermeiden helfen. Wieso soll ein junger Mensch, der gerne und gut kocht und bäckt, Industriekaufmann werden?
Nur, weil man damit – vielleicht – mehr Geld verdienen kann und in einem namhaften Großkonzern einen – angeblich – sicheren Arbeitsplatz bekommen kann? Welchen Wert hat es dann, dass aus diesem fröhlichen jungen Menschen ein unglücklicher, womöglich kranker, Arbeitnehmer wird, der sich im Großkonzern eingesperrt und “versklavt” fühlt? Dieser fröhliche Mensch würde unter Umständen mit einem eigenen kleinen Restaurant sehr glücklich werden… Wer weiß das schon außer dem Betroffenen selbst?

Bewertungen sind immer subjektiv. Das muss uns klar sein.
Schwierig wird es nämlich in dem Moment, wo diese subjektiven Maßstäbe objektiviert und gedankenlos anderen übergestülpt werden. Wenn wir in unserer großen Liebe – durch die rosa Brille – etwas sehen, was gar nicht da ist, wird es zwangsläufig irgendwann knallen!
Genauso, wenn Eltern (und Lehrer) junge Menschen in Berufe drängen, von denen die Erwachsenen Wunschvorstellungen in sich tragen, die aber weder mit dem Berufsalltag noch mit den Vorlieben und Eignungen des jungen Menschen etwas zu tun haben…

Die Experimentellen Zenkünste lehren mit ihrer achtsamen Wahrnehmung von Bewertungen, den Maßstab nicht an andere Menschen oder Dinge anzulegen – sondern an die Bewertungen an sich.
Auch eine Bewertung der eigenen Person ist in Ordnung, solange sie mich auf meinen ganz eigenen Weg führt, mich spüren lässt, was ich sehr gut kann, was mir Freude macht. Ist die Selbstbewertung jedoch so, dass sie den eigenen Selbstwert schmälert, muss sie als das erkannt werden!

Die Be-WERT-ung muss den Wert erkennen: den Wert des Objekts der Bewertung und den Wert der Bewertung an sich.

Ein stylishes T-Shirt ist ein Stück Stoff – oft nicht mal ein besonders wertvoller Stoff. Man zieht es an, weil irgendjemand (wer eigentlich?) festlegt, dass dieses Stück Stoff in dieser Farbe unbedingt “angesagt” ist. Auch dann, wenn man weder die Farbe noch den Schnitt mag… Das ist uns wichtig! Nach solchen Äußerlichkeiten be-WERT-en wir einen anderen Menschen. Fragen dabei aber nicht, ob dieser Mensch glücklich ist!
Der junge Mensch auf der Suche nach einem Beruf (und hier sollten wir “Berufung” hören) ist es uns nicht wert, dass wir uns so viele Gedanken über ihn machen, wie über unser stylishes T-Shirt. Der wird in einen Beruf gedrängt, in dem er sich möglichst viele stylishe T-Shirts kaufen kann…
Wir werden zu Konsumenten erzogen! Im Grunde ist es allen egal, was wir gut können und wie wir uns fühlen. Hauptsache, wir kaufen.

Wir dürfen und können nicht ohne Be-WERT-ungen leben, aber wir müssen sie erkennen. Und wir müssen einen eigenen Wert-Maßstab entwickeln, der jedesmal eine Warnlampe aufleuchten lässt, wenn wir von außen Be-WERT-ungen annehmen, ohne sie zu hinterfragen. Wenn wir mehr Aufmerksamkeit auf unseren Kleiderschrank und unser Auto richten als auf unsere Kinder.

Be-WERT-ungen sind wert-voll, aber sie dürfen kein Prokrustesbett werden, in dem alles abgeschnitten wird, was mich oder jemand anderen als Person ausmacht…

Schere, Stein, Papier? – Stein, Tuch, Seil!

Die Oberfläche ist kühl, rau und schmiegt sich schwer in meine Hand. Wo ich den Stein weggenommen habe, ist nun eine Lücke. Es sieht dort anders aus.

Der Stein wird warm in meiner Hand, ich sehe das Muster auf seiner Oberfläche … spüre den Platz, auf den ich ihn legen werde … zwischen die anderen Steine und zwei lange Bambusstöcke.

Experimentelle Zenkünste mit Steinen
Experimentelle Zenkünste mit Steinen

Wann habe ich zum letzten Mal ein Gewicht in meiner Hand so achtsam wahrgenommen? Habe ich es überhaupt jemals getan?

Ich höre das tiefe, tönende Geräusch, das der Stein auf der Holzplatte erzeugt, als ich ihn ablege.

Ich höre, ich spüre, ich schaue … und staune, als ich unser „Spielfeld“ aus verschiedenen Perspektiven betrachte. Schließlich entdecken wir auch die dritte Dimension…

Grau ist nicht gleich grau…
Fläche ist einheitlich, gemustert, von mäandernden Linien durchzogen…
Wölbungen, Vertiefungen, Kanten…
groß, rund, flach, eckig oder klein,
für uns im Alltag: nur ein Stein!

… über den wir stolpern,
… den wir achtlos aus dem Weg treten.

Wie vieles hätte er uns zu sagen, würden wir ihm zuhören?
Wie vieles könnten wir durch ihn über uns selbst erfahren, ließen wir es zu?

War da nicht einen Moment in mir die Versuchung, den Stein einfach irgendwie mit einer Hand hinzulegen? Ihn gleichsam fallen zu lassen?
Als ich ihn dann doch mit beiden Händen ablege, spüre ich, dass die nach unten weisende Fläche nicht gerade ist. Wieso sollte sie auch? Der Stein kippt ein wenig nach, bevor er zur Ruhe kommt. Meine Hände fangen dieses Kippen auf … und warten, bis der Stein eine stabile Lage gefunden hat.

Nun liegt er aber nicht so, wie ich es erwartet hatte…
Egal! Es ist gut, wie es ist!

Experimentelle Zenkünste mit Tüchern
Experimentelle Zenkünste mit Tüchern

Das Harte, Kalte, Graue wird weich, zart, warm und bunt, wenn wir mit Tüchern spielen. Was vorher als Stein unverändert liegen blieb, bewegt sich nun im Wind, schwebt … rutscht … tut überhaupt nicht das, was man erwartet oder möchte … bäumt sich auf … und fällt in sich zusammen.

Rot, Gelb, Blau – werden trotzdem eine Einheit.

Die dicke Seide raschelt leise, wenn wir sie bewegen. Wir lassen sie rutschen, werfen, zupfen, raffen, drapieren – immer reihum, jeder greift auf (im Wortsinne!), was zuvor entstanden ist.

Der Stoff wiegt, verglichen mit den Steinen, fast nichts – und doch entstehen Gewichtungen: das dunkle Blau ist so viel schwerer als das lichte Gelb. Ziegelrot schafft Ausgleich.

Experimentelle Zenkünste mit Seil
Experimentelle Zenkünste mit Seil

Viele Steine, drei Tücher, ein Seil – Verdichtung!

Geworfener Stein – zerstört
Geworfenes (Hand-)Tuch – gescheitert (oder ist es ein Segel im Wind?)
Geworfenes Seil – verbindet, verankert

Das Seil fließt, Bewegungen an einem Ende setzen sich ein Stück in das Seil hinein fort. Ein sattes Geräusch, wenn es auf dem Boden aufschlägt!

Wir ziehen, werfen, drehen – es entstehen: Schriftzeichen? Runen?

Wieder die Frage, was will es mir sagen?

Experimentelle Zenkünste mit Seil
Experimentelle Zenkünste mit Seil

Aber: Will es mir überhaupt etwas sagen? Ist es nicht schon wieder so etwas typisch Menschliches, dass ich immer nach einer Bedeutung suche, bewerte, urteile?
Kann ich das Seil, die Tücher, die Steine nicht einfach so akzeptieren, wie sie in ihrer Eigenart zu liegen kommen?

Was aber ist es dann, was mich an dieser Ecke zupfen, jenen Stein verschieben, die Seilwindung drehen lässt?

Da ist etwas in mir, das nach Ausgewogenheit schreit, das das Spielfeld betrachtet und diese Ecke zu leer findet, jenen Stein zu einsam…

Nur, ist das die gleiche Instanz in mir, die urteilt? Die etwas schön oder hässlich und Experimentelle Zenkünste doof oder höchst spannend findet?
Oder ist da nicht etwas viel tiefer in mir, das dem roten Stoff zu mehr Ausdruck verhelfen und das eng gewundene Seil aus seiner gequälten Haltung befreien möchte?

Viele Fragen für die nächsten Stunden…