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WWW – oder die Frage: Was wissen Wikis?

Als ich kürzlich Jean Gebser las, kamen mir seine Gedanken über die Frage, was Wissen eigentlich ist, wann es zu Weisheit wird und was damit passiert, wenn es aufgeschrieben wird, sehr bekannt vor. Hatte ich mich doch bereits 2008 einmal mit diesen Fragen im Rahmen des Themas “Wissensmanagement” beschäftigt. Damals habe ich einen netten Essay darüber geschrieben, der – fast – in der Schublade verrottet wäre, hätte ich mich nicht wieder an ihn erinnert. Und so soll er also nun hier den Weg an die Öffentlichkeit finden:

Wahrscheinlich wissen Sie, dass der Rhein der längste Fluss Deutschlands ist und 1789 die französische Revolution stattfand. Aber, sind sie wirklich sicher, dass das stimmt?
Haben Sie die Flüsse nachgemessen? Waren Sie dabei, als die Bastille gestürmt wurde?

Nein? Sie sagen, Sie hätten es in der Schule gelernt und in Büchern gelesen, da könne man schon darauf vertrauen, dass es stimme! Aha, Sie glauben also, dass diese Sachverhalte richtig sind … und erinnern sich vielleicht gerade an Ihren alten Geschichtslehrer und seine Schrullen … da sind wir auch schon mitten im Thema: Wissen, Informationen, Lernen…

In den vergangenen Jahren konnte man viel über Wissensunternehmen und Wissensmanagement lesen. Häufig wurde damit ein hohes Wachstum und Rentabilität verbunden. Sieht man allerdings genauer hin, verbergen sich hinter den Begriffen nur Software-Tools. Die Frage danach, was Wissen eigentlich ist, stellt kaum jemand.
Leider, denn schnell würde klar, dass Wissen an Menschen gebunden ist und eine Software immer nur Hilfsmittel sein kann.

Der ‚letzte Schrei‘ unter den Tools sind Wikis. Ihnen wird nachgesagt, sie würden Wissen schneller im Unternehmen verteilen und dadurch Unternehmen zum Wettbewerbsvorsprung verhelfen. Ob diese Behauptung stimmt, soll der folgende Artikel beleuchten.

Information – Wissen – Kompetenz – Expertentum

Schon ein Blick auf die Begriffe zeigt, dass ‚Information‘ und ‚Wissen‘ sowie ‚Wissen‘ und ‚Kompetenz‘ häufig synonym verwendet werden, obwohl sie es keineswegs sind.

Der Brockhaus definiert ‚Information‘ als ‚Auskunft, Nachricht, Mitteilung‘.
Zu ‚Wissen‘ heißt es dort: ‚kognitives Schema, an Erfahrung orientiert; stellt Handhabung von Sachverhalten auf angenommene zuverlässige Basis von Informationen und Regeln.‘ Daraus folgt Begründbarkeit, Prüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Sachverhalte.

Halten wir also fest: Wissen besteht aus Informationen und Regeln.
Aus dem Zusammenspiel beider Größen werden Strukturen abgeleitet, in die weitere Informationen eingebettet werden können. Hierzu weiter unten mehr, wenn es ums Lernen geht.

Der britisch-amerikanische Chemiker und Philosoph ungarischer Herkunft Michael Polanyi (1891-1976) hat sich mit dem Thema ‚Wissen‘ sehr intensiv auseinander gesetzt und hat vier Merkmale des Wissens herausgearbeitet (Polanyi 1985):

1. Wissen ist implizit: Wissen ist eine persönliche Eigenschaft und ein individuelles Merkmal, es beinhaltet Gefühle und Leidenschaften. Das meiste, was wir wissen, können wir nicht in Worte fassen, wie z.B. die Grammatik unserer Muttersprache oder wie eine Klarinette klingt (Wittgenstein, PU 78). Auch praktisches Wissen kann man nur schwer sprachlich erläutern, man muss es zeigen.

2. Wissen ist handlungsorientiert: Wissen ist ein Prozess. Es wird ständig aufgegeben und neu gebildet. Nur dadurch ist der Mensch handlungsfähig, weil er sich so auf veränderte Anforderungen einstellen kann. Jeder Mensch muss individuell einen Weg entwickeln, wie er neue Informationen in das eigene Wissen integriert.

3. Wissen ist regelgestützt: Das Ergebnis jeder Handlung wird als Muster (Regel) im Gehirn abgelegt. Diese Denkmuster werden aufgebrochen und neu gebildet, wenn komplexe Situationen neue Handlungsweisen erfordern.

4. Wissen unterliegt einer kontinuierlichen Veränderung: Wissen vermehrt sich mit jeder Handlung und deren Ergebnis. Wissen, das durch Sprache artikuliert oder gezeigt wird (expliziert durch Information oder Tradition), wird statisch. Dadurch kann es verbreitet, reflektiert, kritisiert und vermehrt werden. In dem Moment der Explikation findet aber eine Loslösung des Wissens vom Wissensträger statt. Der Wissensträger kann nicht mehr kontrollieren, wie das Wissen vom Empfänger aufgenommen wird – außer bis zu einem gewissen Grad in der direkten Auseinandersetzung mit dem anderen Menschen.

Will nun jemand einen Sachverhalt, den er oder sie weiß, aufschreiben – also explizieren –, sind Fähigkeiten notwendig. Fähigkeiten spielten bei diesen Betrachtungen allerdings noch keine Rolle, weil sie weder Information noch Wissen sind, sondern dem Bereich der Kompetenz zugeordnet werden.

Kompetenz umfasst fünf Elemente (Sveiby 1998):

1. Explizites Wissen: das sind alle Informationen und eine formale Ausbildung.

2. Fähigkeiten: das Wissen, wie etwas gemacht wird, praktisches Können, die Kenntnis von Regeln und Strukturen und die Fähigkeit zur Kommunikation. Fähigkeiten können nicht oder nur sehr schwer auf andere übertragen werden, sondern müssen von jedem Menschen selbst erworben werden.

3. Erfahrung: das Betrachten der Ergebnisse von Handlungen und das Nachdenken über Fehler und Erfolge.

4. Werturteile: persönliche Auffassungen, die immer individuell und sozial bedingt sind. Sie sind bewusste und unbewusste Filter für den Wissensprozess. Ob eine Handlung sinnvoll ist, ergibt sich immer erst aus der Bewertung (Leisegang 1960). Die Bewertungsgrundlage kommt aus der bereits vorhandenen Erfahrung.

5. soziales Beziehungsgeflecht: d.h. Mitmenschen, Umgebung, Kultur und Tradition. Diese Größen ändern sich, wenn man in eine neue Umgebung kommt. Das bedeutet, dass man z.B. beim Wechsel seines Arbeitsplatzes einen Teil seiner Kompetenz verliert.

Gehen wir nun noch einen Schritt weiter. Menschen, die in einem Fachbereich sehr kompetent sind, können die einer Handlung zugrunde liegenden Strukturen modifizieren oder gar komplett erneuern. Sie entwickeln so effizientere oder einer komplexen Situation angemessenere Verfahrensweisen. Man spricht dann von Experten.
Experten können zwar ihr Wissen weitergeben, aber nicht das, was sie zu Experten macht. Expertentum beruht auf der Person des Experten und seiner (oder ihrer) Arbeitsweise, Neugierde, dem persönlichen Umfeld, dem Vorwissen, dem Fleiß … und vielen anderen Dingen.
Leonardo da Vinci – ein absoluter Meister seines Fachs – hatte viele Schüler, die zweifelsohne viel von ihm lernten. Ein zweiter Leonardo kam dabei jedoch nicht heraus.

Handeln – Erkennen – Urteilen

Nachdem zuvor die einzelnen Stufen beschrieben wurden, stehen wir nun vor der Frage, wie wird man Experte, wenn man vor einer Sammlung von Informationen steht? Die Antwort lautet: durch Lernen!

Lernen ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem aus den erkannten Zusammenhängen zunächst Regeln und, in einem späteren Schritt, aus den Regeln Strukturen abgeleitet werden. In diese Strukturen werden neue Informationen eingegliedert und mit dem vorhandenen Wissen in Zusammenhang gebracht. Jemandem etwas erklären bedeutet, den ihm zunächst unbekannten Sachverhalt auf für ihn Bekanntes zurückzuführen und einen einzelnen Vorgang in ein allgemeines und bekanntes Gesetz einzuordnen (Leisegang 1960).

Ein besonders wichtiges Kriterium des Lernprozesses ist, dass die einzelnen Informationen in ein Geflecht aus Beziehungen und Bewertungen eingebunden werden. Dadurch sind die Informationen quasi festgehalten und zugeordnet, sie stehen nicht mehr zusammenhanglos im Raum und können nicht mehr vertauscht werden. Diese Geflechte und Strukturen sind für uns Menschen lebenswichtig. Die Entwicklung von Ideen und der Aufbau von Beziehungen sind dem Menschen eigene Bestrebungen. Strukturen werden entwickelt, um sich darin als Person entfalten zu können (Precht 2007 und McLuhan nach Sveiby 1998).

Wissen und Kompetenz zu erwerben und Strukturen zu erkennen, ist ein aktiver und auch anstrengender Vorgang, der Zeit kostet. Dieser Vorgang muss von jedem Menschen selbst immer wieder neu gemeistert werden. Dazu muss man ausprobieren, Fehler machen, sich kritisieren lassen, sich verbessern und üben. Also handeln, erkennen, ob es die richtige Handlung war und beurteilen, ob sie gut war und zum gewünschten Ergebnis geführt hat. Dabei erwirbt man praktische und theoretische Fähigkeiten, Erfahrung und entwickelt seine Werturteile. Dieser Vorgang ist weitestgehend implizit, oft unartikuliert und sehr wirkungsvoll.

Jede Erfahrung, alles, was wir denken und fühlen hinterlässt eine – bio-chemisch nachweisbare – Spur in unserem Gehirn. Diese Spuren werden ständig umgestaltet. Um bewusst etwas erinnern zu können, muss das Erlebte geistig erfasst und reflektiert sein. Unser Gehirn speichert keine Daten, sondern Bedeutungen (Kandel nach Precht 2007). Und Bedeutung erlangt ein Sachverhalt nur dann für uns, wenn etwas selbst erarbeitet oder ausgeführt und das Ergebnis reflektiert wird.

Die reine Übertragung von Informationen hingegen trägt demnach so gut wie gar nicht zum Aufbau von Wissen und Kompetenz bei – oder wie es ein chinesisches Sprichwort sagt: „Ein guter Lehrer ist besser als zehn Bücher.“

Die Wertlosigkeit von Informationen

Aus den vorangegangen Feststellungen, v.a. in Bezug auf die Übertragung von Wissen in Form von Informationen, zeigt sich, dass ‚Information‘ eine sehr unzuverlässige Größe in der Wissensbildung ist. Für den Sender spielt sie eine ganz präzise Rolle in seiner Denkstruktur, und er bewertet sie aufgrund seiner individuellen Erfahrung.

Ist die Information expliziert und vom Sender losgelöst, hat er keinen Einfluss mehr darauf, wie der Empfänger die Information bewertet und in sein Wissensgefüge einarbeitet. Die Information wird unzuverlässig und veraltet schnell, da sie immer nur eine Momentaufnahme im Wissensprozess darstellt.

Wir verfügen heute über mehr Informationen als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Diese Flut kann niemand mehr überblicken, und so kommt es, dass wir mehr und mehr abhängig sind von der subjektiven Meinung derer, die diese Informationen gefiltert haben. Häufig schenken wir übertriebenen und lauten Aussagen, die meist nur schlecht begründet sind, viel mehr Aufmerksamkeit als einem Fachartikel, der ein Problem umfassend beschreibt (Sveiby 1998).

Auch das häufig zu beobachtende unstrukturierte Arbeiten vieler Mitarbeiter resultiert aus der unüberschaubaren Fülle an Informationen, die niemand mehr wirklich einordnen kann, und dem ständigen Mangel an Zeit. Es wird immer schwieriger, Regeln nicht nur oberflächlich zu erkennen, sondern wirklich abzuleiten. Strukturen zu durchdenken, mit den eigenen Erfahrungen und den neu hinzugekommenen Informationen in Zusammenhang zu bringen, erfordert ein Mindestmaß an Ruhe und Zeit. Ein ständiges Bombardement mit immer neuen Nachrichten ist dem Ziel nicht dienlich.

Die Bedeutung von Wikis

Welche der oben erörterten Elemente sind nun in einem Wiki zu finden? Wissen und Kompetenz, haben wir gesehen, sind eng an einen Wissensträger gebunden – einen Menschen. Das Wiki beinhaltet Informationen und möglicherweise Regeln, nicht aber die Verknüpfung dieser beiden Dinge. Das wiederum kann nur ein Mensch leisten. Und jeder Mensch braucht dafür Strukturen.

Nutzer eines Wikis benötigen also zumindest einen strukturellen Leitfaden, wie sie das eigene Wissen in das Wiki hinein explizieren oder die Informationen im Wiki in die eigene Wissensstruktur einordnen können. Das bedeutet, auch Wikis müssen Strukturen oder Kategorien aufweisen, in denen Wissenspositionen gefunden werden können.

Das Lernen allerdings wird von einem Wiki in keiner Weise unterstützt. Durch ein Wiki allein wird niemand gezwungen, sein Denken in Frage zu stellen oder gar aufzugeben und neu zu entwickeln, weil die persönliche Konfrontation mit der Problemstellung oft gänzlich fehlt. Zunächst ist ein Wiki nichts anderes als ein Ablagesystem in elektronischer Form – häufig sogar wesentlich schlampiger, weil die ‚Registerblätter‘ – also Kategorien und Strukturen – fehlen!

Ein Wiki, das nicht ständig gepflegt wird, ist wertlos. Zum einen, weil eine stetig wachsende Zahl von Informationen veraltet ist, zum anderen, weil Informationen, die nicht in eine Struktur eingebunden sind, zusammenhanglos im Raum stehen und für die Nutzer keine wesentliche Rolle im Wissenserwerb spielen können.

Es geht aber nicht nur um Neues und Altes. Zu sehr scheint das Augenmerk nur auf das Sammeln von Informationen gerichtet zu sein, nicht aber auf die Entwicklung von Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter. Ein Unternehmen wähnt sich im Besitz eines großen ‚Wissens‘, wenn nur das Wiki gut gefüllt ist.

Die Frage ist aber, was ein Unternehmen mit dem – vermeintlichen – Wissen, das da im System schlummert, erreichen möchte? Das Wiki allein bringt noch kein innovatives Neuprodukt auf den Markt. Das schaffen nur kreative, neugierige und kommunikative Mitarbeiter. Für sie ist das Wiki allerdings ein Medium unter vielen, um Informationen auszutauschen.

Man kann – wie schon eingangs erwähnt – in verschiedenen Artikeln lesen, dass Wikis die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens steigern, da Information und Geschwindigkeit wesentliche Erfolgsfaktoren sind. Hier lässt sich an mehreren Punkten Kritik formulieren.

1. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens wird nicht verbessert, nur weil ein Wiki eingesetzt wird. Viel wichtiger ist es für ein Unternehmen, eine Strategie zu entwickeln, die nicht so einfach von der Konkurrenz übernommen werden kann. Hierbei spielen v.a. die Mitarbeiter und die Kunden eines Unternehmens eine Rolle. Jedes Produkt kann kopiert werden. Einzigartige Beziehungen zwischen Kunden und Mitarbeitern, die zur perfekten Lösung spezieller Herausforderungen führen und damit echtes Wissen generieren, jedoch nicht (Sveiby 1998). Diese Lösungen finden nur Teams aus kompetenten Mitarbeitern.

2. Es wurde bereits gezeigt, dass Informationen sehr schnell an Wert verlieren. Auch wenn ein Mitarbeiter diese Informationen schnell auffinden kann (Bermann 2007), kann er/sie nicht sicher sein, ob diese Informationen noch gültig sind. Hinzu kommt, dass Wikis ein Pull-Medium sind (Zurawski 2007), d.h. jeder muss sich selbst bemühen, an Informationen zu kommen. Was aber ist, wenn Mitarbeiter dies – aus verschiedenen Gründen – nicht tun?

3. Ein weiterer negativer Aspekt des Einsatzes solcher Systeme (wenn nicht der Nutzung des Internet überhaupt) ist die Absolutheit, die viele Menschen diesen Medien zukommen lassen. Werden benötigte Informationen dort nicht gefunden, wird dies als gegeben akzeptiert. Gefundene Informationen werden nur selten hinterfragt und kaum geprüft. Die Suche nach und das Lesen von weiterführender Literatur entfällt fast vollständig. (Obwohl es hier um ein IT-System und das Internet geht – der Autorin sei der Hinweis gestattet – enthält die Bibliografie zu diesem Artikel nur – echte – Bücher und Zeitschriftenartikel und keinen Verweis auf Internetseiten!)

Ausblick

Unternehmen, die ihr Wissen systematisieren wollen, sollten nicht ihr Hauptaugenmerk darauf legen, ‚Wissen‘, von Menschen losgelöst, als Informationen in Systemen abzulegen, wo es bald wertlos wird, wenn es nicht gepflegt wird. Vielmehr geht es darum, diese Informationen in anderen Köpfen zu neuem Wissen zu machen. In einem nächsten Schritt sollten die Mitarbeiter dazu befähigt und angeleitet werden, das Gelernte kritisch zu hinterfragen (Keller 2006).

Dies passiert jedoch nicht vor dem Computer im Büro, sondern in der Konfrontation mit Aufgabenstellungen und der individuellen Anleitung, im Austausch mit Kollegen und in der Anwendung. Konkret würde das bedeuten, dass die Mitarbeiter der verschiedenen Abteilungen miteinander ins Gespräch kommen. Denn, trotz „aller technologischen Zauberei komplexer IT-Systeme kann nichts das gute altmodische Gespräch ersetzen.“ (Barry Harrington in Harvard Business Review, Mai-Juni 1996, S.33; zitiert nach Sveiby 1998, S. 197).

Kommunikation ist nämlich nicht einfach nur der mündliche Austausch von Informationen, sondern die Organisation eines Systems aus Versprechungen und Erwartungen (Luhmann nach Precht 2007). Nur im persönlichen Gespräch werden – implizit – non-verbale Äußerungen des Gesprächspartners wahrgenommen, wie das Hochziehen der Augenbrauen, Schulterzucken, Resignation in der Stimme, Lächeln, Zynismus etc. Diese Erfahrungen legt der Informations-Empfänger zusammen mit der übertragenen Information ab.

Das ist auch der Grund, weshalb Entscheidungen, die ‚aus dem Bauch heraus‘ getroffen werden, meist besser sind als Entscheidungen, die auf Basis (zu) vieler Informationen gefällt werden (Sveiby 1998). Das Bauch-Gefühl basiert auf vielen Gesprächen, Erkenntnissen und den unbewusst aufgenommenen non-verbalen Äußerungen der Gesprächspartner, die Eingang in den eigenen Erfahrungsschatz gefunden haben. Ein Wiki kann das alles nicht leisten.

Artikel über den Obstbaumschnitt (Bermann 2007) haben – mit Verlaub – in einem Unternehmens-Wiki nichts verloren. Die wenigen Mitarbeiter, die sich dafür interessieren, könnten das am Wochenende in ihren Gärten bei Kaffee und Kuchen erörtern. Es wäre allerdings im Interesse des Unternehmens, diese Menschen zusammenzubringen. Neben Obstbaum-Schnitt-Finessen tauschen Mitarbeiter, sitzen sie erst mal zusammen am Tisch, auch ihr Wissen zu den Unternehmensprojekten aus.

Um auf die Titel-Frage zurückzukommen: Was wissen Wikis nun? Die Antwort lautet eindeutig: Nichts! Wikis können nichts wissen. Weil nur Menschen etwas wissen können. Diese Menschen können jedoch einen Teil ihres Wissens im Wiki explizieren und mit Kollegen erörtern. Die Nutzer müssen die Bereitschaft aufbringen, das explizite Wissen aus dem Wiki aktiv aufzunehmen und in ihren eigenen Erfahrungsschatz einzubinden. Dann kann das Wiki ein Weg sein, Mitarbeiter – auf eine künstliche Art – miteinander ins Gespräch zu bringen.

Denn Wissen nimmt zu, wenn Menschen es mit anderen Menschen teilen. Der Rohstoff Wissen ist grenzenlos (Sveiby 1998). Unternehmen müssen sich damit abfinden, dass mit jedem Mitarbeiter, der das Unternehmen verlässt, auch Wissen abwandert.
Hat der Mitarbeiter aber im Lauf der Zeit durch eine intakte Gesprächskultur seine Kenntnisse mit vielen Kolleginnen und Kollegen geteilt, sollte im Unternehmen keine allzu große Lücke entstehen.

Wie aktuell das alles ist, zeigt ein aktueller Artikel, der diese Woche in den VDI-Nachrichten erschienen ist: “Wenn geballtes Wissen in den Ruhestand geht”

 

Literatur

Brockhaus Enzyklopädie. 21. Aufl. (2006).

Bermann, Jens (2007): Die gläserne Firma. In: Brand eins, H. 03/07, S. 109–115.

Keller, Albert (2006): Allgemeine Erkenntnistheorie. 3., durchges. und erg. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer (Urban-Taschenbücher, 346).

Leisegang, Hans; Müller, Johannes (1960): Einführung in die Philosophie. 4. Aufl. Berlin: de Gruyter (Sammlung Göschen, 281).

Nonaka, Ikujiro; Takeuchi, Hirotaka; Mader, Friedrich (1997): Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen. Frankfurt/Main: Campus-Verl.

Polanyi, Michael (1985): Implizites Wissen. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 543).

Polanyi, Michael (2000): Personal knowledge. Towards a post-critical philosophy. [15. Dr.]. Chicago: Univ. of Chicago Press.

Polanyi, Michael; Grene, Marjorie (1969): Knowing and being. Essays by Michael Polanyi. Chicago: Univ. of Chicago Press.

Precht, Richard David (2007): Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Eine philosophische Reise. 6. Aufl. München: Goldmann.

Sveiby, Karl Erik (1998): Wissenskapital – das unentdeckte Vermögen. Immaterielle Unternehmenswerte aufspüren, messen und steigern. Landsberg/Lech: Verl. Moderne Industrie.

Wittgenstein, Ludwig (1984): Werkausgabe. [in 8 Bänden]. [Taschenbuchausg.]. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1.

Zurawski, Konstantin (2007): Bieten an der Wissensbörse. In: Bild der Wissenschaft, H. 11/07, S. 104–106.

Von der Be-WERT-ung zum Wert

Ein Thema, das sich für einen Anfänger der Experimentellen Zenkünste z.B. in den Konstellationsspielen aufdrängt, sind Bewertungen. War das jetzt gut, was ich gemacht habe, oder nicht?
Nun geht es genau darum, diese Fragen und Bewertungen erst einmal wahrzunehmen … und irgendwann auch sein zu lassen. Es ist egal…

Aber ist das so sinnvoll? Wäre es wirklich gut, wenn unser Leben frei von Bewertungen wäre?
Ich meine, nein!

Fangen wir ganz archaisch an. Der Jäger und Sammler, der auf der Suche nach Nahrung ein Tier erlegt oder Früchte gefunden hat, musste immer entscheiden, ob diese Nahrung genießbar war oder nicht. Das ist eine Bewertung! Und noch dazu eine sehr wichtige!
Ein leitender Angestellter oder Unternehmer auf der Suche nach einem neuen Mitarbeiter: Der neue Mitarbeiter muss bewertet werden, ob er/sie für die Stelle geeignet ist und die notwendigen Fähigkeiten mitbringt. Kein beliebtes Thema! Aber notwendig!
Jeder Liebende bewertet seine Liebe! Sonst wäre die Liebe nicht da… Irgendetwas hat er oder sie in den Augen des Liebenden, was andere nicht haben.
Bewertung ist unvermeidlich. Schon die Tatsache, dass man liebt, ist eine Bewertung. Und das ist gut so!

In unserer Gesellschaft wird sehr viel Unwichtiges bewertet. Modische Kleidung, Äußerlichkeiten und Statussymbole spielen eine größere Rolle als der Mensch, der in der Kleidung steckt!
Dort, wo allerdings eine ehrliche Bewertung angebracht wäre, findet sie in der Regel nicht nur nicht statt, sondern wird nachgerade bekämpft unter dem Deckmäntelchen der Chancengleichheit o.ä.
Nehmen wir die Berufswahl: eine liebevolle Be-WERT-ung eines Jugendlichen würde so manchen unglücklichen Erwachsenen vermeiden helfen. Wieso soll ein junger Mensch, der gerne und gut kocht und bäckt, Industriekaufmann werden?
Nur, weil man damit – vielleicht – mehr Geld verdienen kann und in einem namhaften Großkonzern einen – angeblich – sicheren Arbeitsplatz bekommen kann? Welchen Wert hat es dann, dass aus diesem fröhlichen jungen Menschen ein unglücklicher, womöglich kranker, Arbeitnehmer wird, der sich im Großkonzern eingesperrt und “versklavt” fühlt? Dieser fröhliche Mensch würde unter Umständen mit einem eigenen kleinen Restaurant sehr glücklich werden… Wer weiß das schon außer dem Betroffenen selbst?

Bewertungen sind immer subjektiv. Das muss uns klar sein.
Schwierig wird es nämlich in dem Moment, wo diese subjektiven Maßstäbe objektiviert und gedankenlos anderen übergestülpt werden. Wenn wir in unserer großen Liebe – durch die rosa Brille – etwas sehen, was gar nicht da ist, wird es zwangsläufig irgendwann knallen!
Genauso, wenn Eltern (und Lehrer) junge Menschen in Berufe drängen, von denen die Erwachsenen Wunschvorstellungen in sich tragen, die aber weder mit dem Berufsalltag noch mit den Vorlieben und Eignungen des jungen Menschen etwas zu tun haben…

Die Experimentellen Zenkünste lehren mit ihrer achtsamen Wahrnehmung von Bewertungen, den Maßstab nicht an andere Menschen oder Dinge anzulegen – sondern an die Bewertungen an sich.
Auch eine Bewertung der eigenen Person ist in Ordnung, solange sie mich auf meinen ganz eigenen Weg führt, mich spüren lässt, was ich sehr gut kann, was mir Freude macht. Ist die Selbstbewertung jedoch so, dass sie den eigenen Selbstwert schmälert, muss sie als das erkannt werden!

Die Be-WERT-ung muss den Wert erkennen: den Wert des Objekts der Bewertung und den Wert der Bewertung an sich.

Ein stylishes T-Shirt ist ein Stück Stoff – oft nicht mal ein besonders wertvoller Stoff. Man zieht es an, weil irgendjemand (wer eigentlich?) festlegt, dass dieses Stück Stoff in dieser Farbe unbedingt “angesagt” ist. Auch dann, wenn man weder die Farbe noch den Schnitt mag… Das ist uns wichtig! Nach solchen Äußerlichkeiten be-WERT-en wir einen anderen Menschen. Fragen dabei aber nicht, ob dieser Mensch glücklich ist!
Der junge Mensch auf der Suche nach einem Beruf (und hier sollten wir “Berufung” hören) ist es uns nicht wert, dass wir uns so viele Gedanken über ihn machen, wie über unser stylishes T-Shirt. Der wird in einen Beruf gedrängt, in dem er sich möglichst viele stylishe T-Shirts kaufen kann…
Wir werden zu Konsumenten erzogen! Im Grunde ist es allen egal, was wir gut können und wie wir uns fühlen. Hauptsache, wir kaufen.

Wir dürfen und können nicht ohne Be-WERT-ungen leben, aber wir müssen sie erkennen. Und wir müssen einen eigenen Wert-Maßstab entwickeln, der jedesmal eine Warnlampe aufleuchten lässt, wenn wir von außen Be-WERT-ungen annehmen, ohne sie zu hinterfragen. Wenn wir mehr Aufmerksamkeit auf unseren Kleiderschrank und unser Auto richten als auf unsere Kinder.

Be-WERT-ungen sind wert-voll, aber sie dürfen kein Prokrustesbett werden, in dem alles abgeschnitten wird, was mich oder jemand anderen als Person ausmacht…