Die Oberfläche ist kühl, rau und schmiegt sich schwer in meine Hand. Wo ich den Stein weggenommen habe, ist nun eine Lücke. Es sieht dort anders aus.
Der Stein wird warm in meiner Hand, ich sehe das Muster auf seiner Oberfläche … spüre den Platz, auf den ich ihn legen werde … zwischen die anderen Steine und zwei lange Bambusstöcke.
Wann habe ich zum letzten Mal ein Gewicht in meiner Hand so achtsam wahrgenommen? Habe ich es überhaupt jemals getan?
Ich höre das tiefe, tönende Geräusch, das der Stein auf der Holzplatte erzeugt, als ich ihn ablege.
Ich höre, ich spüre, ich schaue … und staune, als ich unser „Spielfeld“ aus verschiedenen Perspektiven betrachte. Schließlich entdecken wir auch die dritte Dimension…
Grau ist nicht gleich grau…
Fläche ist einheitlich, gemustert, von mäandernden Linien durchzogen…
Wölbungen, Vertiefungen, Kanten…
groß, rund, flach, eckig oder klein,
für uns im Alltag: nur ein Stein!
… über den wir stolpern,
… den wir achtlos aus dem Weg treten.
Wie vieles hätte er uns zu sagen, würden wir ihm zuhören?
Wie vieles könnten wir durch ihn über uns selbst erfahren, ließen wir es zu?
War da nicht einen Moment in mir die Versuchung, den Stein einfach irgendwie mit einer Hand hinzulegen? Ihn gleichsam fallen zu lassen?
Als ich ihn dann doch mit beiden Händen ablege, spüre ich, dass die nach unten weisende Fläche nicht gerade ist. Wieso sollte sie auch? Der Stein kippt ein wenig nach, bevor er zur Ruhe kommt. Meine Hände fangen dieses Kippen auf … und warten, bis der Stein eine stabile Lage gefunden hat.
Nun liegt er aber nicht so, wie ich es erwartet hatte…
Egal! Es ist gut, wie es ist!
Das Harte, Kalte, Graue wird weich, zart, warm und bunt, wenn wir mit Tüchern spielen. Was vorher als Stein unverändert liegen blieb, bewegt sich nun im Wind, schwebt … rutscht … tut überhaupt nicht das, was man erwartet oder möchte … bäumt sich auf … und fällt in sich zusammen.
Rot, Gelb, Blau – werden trotzdem eine Einheit.
Die dicke Seide raschelt leise, wenn wir sie bewegen. Wir lassen sie rutschen, werfen, zupfen, raffen, drapieren – immer reihum, jeder greift auf (im Wortsinne!), was zuvor entstanden ist.
Der Stoff wiegt, verglichen mit den Steinen, fast nichts – und doch entstehen Gewichtungen: das dunkle Blau ist so viel schwerer als das lichte Gelb. Ziegelrot schafft Ausgleich.
Viele Steine, drei Tücher, ein Seil – Verdichtung!
Geworfener Stein – zerstört
Geworfenes (Hand-)Tuch – gescheitert (oder ist es ein Segel im Wind?)
Geworfenes Seil – verbindet, verankert
Das Seil fließt, Bewegungen an einem Ende setzen sich ein Stück in das Seil hinein fort. Ein sattes Geräusch, wenn es auf dem Boden aufschlägt!
Wir ziehen, werfen, drehen – es entstehen: Schriftzeichen? Runen?
Wieder die Frage, was will es mir sagen?
Aber: Will es mir überhaupt etwas sagen? Ist es nicht schon wieder so etwas typisch Menschliches, dass ich immer nach einer Bedeutung suche, bewerte, urteile?
Kann ich das Seil, die Tücher, die Steine nicht einfach so akzeptieren, wie sie in ihrer Eigenart zu liegen kommen?
Was aber ist es dann, was mich an dieser Ecke zupfen, jenen Stein verschieben, die Seilwindung drehen lässt?
Da ist etwas in mir, das nach Ausgewogenheit schreit, das das Spielfeld betrachtet und diese Ecke zu leer findet, jenen Stein zu einsam…
Nur, ist das die gleiche Instanz in mir, die urteilt? Die etwas schön oder hässlich und Experimentelle Zenkünste doof oder höchst spannend findet?
Oder ist da nicht etwas viel tiefer in mir, das dem roten Stoff zu mehr Ausdruck verhelfen und das eng gewundene Seil aus seiner gequälten Haltung befreien möchte?
Viele Fragen für die nächsten Stunden…