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Vom Ego und der Kunst, im Hier und Jetzt zu leben

(Teil 2 des Artikels: Widerstand ist eine Form von Beurteilung)

Es geht um nichts Geringeres, als wach zu werden und wieder die Kontrolle über unser Denken zu erhalten. Nur dann können wir wirklich weiter kommen auf unserem Weg. Denn das Ego hat die unangenehme Eigenschaft, sich nicht aus der eigenen Komfortzone heraus bewegen zu wollen. Es will alles so lassen, wie es ist, auch wenn wir mit unserem Status Quo noch so unzufrieden sind! Aber, da weiß man wenigstens, was man hat… Das Neue, das Andere, nein, das kennt das Ego nicht, das muss also schlecht sein!

„Du musst dich permanent beobachten – vor allem deine Gedanken – in jedem Moment, ohne etwas auszulassen. Die Beobachtung ist wesentlich zur Trennung des Selbst vom nicht-Selbst … Sei dir jenes Zustandes bewusst, der einfach nur Sein ist, ohne dieses oder jenes zu sein.“
Nisargadatta Maharaj

Also, ganz egal, ob wir unser Leben grundlegend ändern oder einfach nur bessere Push Hands-Spieler werden wollen … es lohnt sich, den eigenen Gedanken zuzuhören. Und dabei bis ins innerste Mark zu erschrecken!

Wie oft kauen wir eigentlich kleinste Unannehmlichkeiten durch, die uns widerfahren sind? Wie lange beschäftigen uns Bilder der Gewalt aus Filmen oder Fernsehnachrichten? Und, meine Güte, wie schnell urteilen wir? (Dass die Welt schlecht ist, wissen wir schließlich … aus dem Fernsehen!) Vor allem, was nützen uns diese Urteile und Meinungen eigentlich, mit denen wir dann durch die Welt trampeln? Und von denen wir, ach, so schwer wieder Abstand nehmen können?

Doch halt, wir haben ja schon erfahren, dass gar nicht wir es sind…

Wut, Ärger und Angst sind nichts anderes als ein schnelles, meist allzu schnelles, Urteil über die Situation. Das Ego möchte die Kontrolle nicht verlieren und leistet Widerstand. Es will weg! Oder siegen! Da es aber keine neuen Ideen zulassen kann (wo kämen wir da hin?), wird es nie verstehen, dass man durch Nachgeben oder das Zugeben von Schwächen siegen und aus Fehlern lernen kann.

Es geht also darum, das Ego zu beobachten, wie es für uns denkt und handelt. Das Bewusstsein muss wieder die Kontrolle über unser Denken und Handeln bekommen. Versuchen Sie doch einmal herauszufinden, wie lange Sie gar nichts denken können?

Es ist schwer, die Gedanken vollständig zur Ruhe zu bringen. Eine gute Möglichkeit, es zu üben, bietet sich beim Push Hands. Hier können wir vor jeder Begegnung daran arbeiten, unseren Affengeist schweigen zu lassen, präsent zu sein, die Aufmerksamkeit auf unseren Körper und unseren Partner zu richten. Und, nehmen wir doch all die Gefühle einfach wahr, die in uns aufsteigen, wenn wir uns Aug‘ in Aug‘ gegenüber stehen oder unser Gleichgewicht verlieren…

Warum immer gleich die Situation bewerten in Form von Wut oder Überlegenheitsgefühlen? Freuen wir uns doch stattdessen lieber über unsere Fehler! Wenn es uns gelingt, sie zu betrachten, ohne sie zu bewerten, dann und nur dann können wir echte Fortschritte machen!

Denn je stiller der Affengeist, umso unbesiegbarer wird man. Und der Affengeist wird still, wenn man im Hier und Jetzt ist. Da gibt es weder Schmerz über Dinge, die längst vergangen und ohnehin nicht mehr zu ändern sind, noch Spekulationen über zukünftige Katastrophen, die meistens eh nicht eintreten … und wenn doch, dann immer anders als geplant! Im Hier und Jetzt hat der Affengeist seine Grundlage verloren und muss schweigen. Dann ist der Weg frei, eine Situation so wahrzunehmen, wie sie wirklich ist. Die notwendige und angemessene Reaktion stellt sich von selbst ein.

Das und nichts anderes dürfte der „Trick“ jener alten Meister gewesen sein, von denen überliefert ist, dass sie ihren Gegnern so lange Aug‘ in Aug‘ gegenüber standen, bis die Gegner die Nerven verloren, aufgaben und ihre Absicht im Angriff verrieten. Mit einem leeren Geist und der Aufmerksamkeit ganz im Augenblick ist der Sieg dann sicher.

Wenn es denn so einfach wäre…

 

(Literatur:
Shaw, Andy: A bugfree mind, 3. Aufl., September 2013; http://www.abugfreemind.com
Tolle, Eckhart: The power of NOW. A guide to spiritual enlightenment. New World Library und Namaste Publishing, 2004)

Widerstand ist eine Form von Beurteilung

Begeben wir uns ins China des 13. Jahrhunderts. Wir sitzen zu Füßen des ehrwürdigen Meisters Chang San-Feng und lauschen seinen Ausführungen über Shen (Geist), Yi (Vorstellungskraft) und Qi … Er spricht über den Fluss des Qi, der der Vorstellungskraft folgt und sich vom Boden durch den ganzen Körper dorthin bewegt, wo das Qi gebraucht wird. Um mit den Worten zu enden: „All dies unterliegt dem Geist und zeigt sich nicht physisch.“

Damals wie heute sind die Ausführungen nicht leicht zu verstehen, geschweige denn anzuwenden. Für Generationen von Schülern der Inneren Kampfkünste klingen sie wie Zeugnisse aus einer fernen und fremden Welt, und es bedarf einiger Anstrengung und Überlegung, den Sinn zu erfassen.

Der Geist und der Mensch sollen ruhig werden, sich nicht von äußeren Dingen, Emotionen, dem Ego oder dem Ehrgeiz leiten lassen, ganz im Hier und Jetzt verweilen.

„Die Zerstörung des Egos, seine Auflösung im kosmischen und göttlichen Bewusstsein ist auch ein Teil unserer Ansicht der Umwandlung; durch diese Zerstörung entdecken wir die wahre oder spirituelle Person, die ein ewiger Teil des Göttlichen darstellt.“
Sri Aurobindo

Und schaut man in andere Kulturen, ganz egal, ob europäische oder fernöstliche, all die Weisen trachteten danach, den Geist zu kontrollieren und das Ego zu besiegen, aufzulösen…

Warum eigentlich? … und was ist eigentlich der Geist und das Ego?

Das Problem, das hier nach einer Lösung verlangt, ist unsichtbar … physisch nicht sichtbar, wie es auch Chang San-Feng schon wusste. Denn die meisten Handlungen und Worte, die wir ausführen und sprechen, sind unbewusst. Einerseits ist das auch gut so. Wir alle wären längst reif für die Klapsmühle, müssten wir jeden Dialog an der Supermarktkasse oder das tägliche Zähneputzen bewusst erleben und abarbeiten…

Andererseits bedeutet das aber auch, dass es irgendetwas in uns gibt, das diese Dinge steuert. Oder, uns steuert? Denn wer kann sicher sein, dass sich dieses Etwas nur um Smalltalk und Zähneputzen kümmert, bei den wirklich wichtigen Fragen aber plötzlich schweigt? Und wer oder was soll dann eigentlich so plötzlich das Kommando übernehmen?

Sichtbar wird dies z.B. für Push Hands-Spieler. Sie wissen, dass man sicher verliert, wenn man das tut, was man normalerweise tut, nämlich auf Druck mit Gegendruck oder Widerstand zu reagieren. Auch Emotionen wie Wut, Ärger oder Angst verleiten zu Bewegungen, die ein geübter Gegner leicht zu seinem Vorteil nutzen kann.

Hier sind einige Dinge schön zu sehen: dieses Etwas, das uns steuert, glaubt offenbar zu „wissen“, dass man auf Druck hart werden und mit Gegendruck antworten muss – und tut das auch. Ganz automatisch. Komisch nur, dass wir dabei sicher aus dem Gleichgewicht geraten. Da stimmt doch etwas nicht?!

Und statt darüber nachzudenken, ärgern wir uns… Aber ärgern wirklich wir uns? Ärgert sich nicht vielleicht auch dieses Etwas?

Sind wir überhaupt präsent? Leben wir unser Leben überhaupt?
Oder werden wir gelebt? Sind wir ferngesteuert von diesem Etwas?

Nennen wir dieses Etwas Affengeist, wie die Chinesen, oder Ego. Und um es einmal deutlich zu spüren, machen wir ein kleines Experiment: Suchen Sie in Ihrer Vergangenheit einen besonders schönen oder glücklichen Moment. Und dann versuchen Sie, 15 Sekunden ununterbrochen und intensiv an diesen Moment zu denken. Achtung, fertig, los…

15, 14, 13, 12, 11, 10 …

Wetten, dass Sie es NICHT geschafft haben, im ersten Anlauf Ihren Geist und Ihre Vorstellungskraft 15 Sekunden auf einen wunderschönen Moment in Ihrem Leben zu fokussieren? Spätestens nach zehn Sekunden hat ziemlich sicher der Affengeist dazwischen gequatscht und Sie daran erinnert, was Sie unbedingt heute noch erledigen müssen, dass die Verkäuferin beim Bäcker so unfreundlich war, Sie schon wieder für Ihren Chef irgendeinen Blödsinn nebenbei erledigen mussten…

„Es beginnt damit, dass du ICH sagst: Alles, was danach kommt, ist Illusion.“
Kodo Sawaki

Ha! Da haben wir es also ertappt, dieses Ego, das uns steuert, und glaubt, alles besser zu wissen!

Überlegen Sie sich das einmal: Dieses Ego gönnt Ihnen keine 15 Sekunden für eine schöne Erinnerung! Es lässt Sie nicht das denken, was Sie denken wollen! Es handelt für Sie, ohne vorher zu fragen… Starkes Stück!

… und dann ärgert es sich auch noch für Sie, weil das halt so üblich ist! Auch dann noch, wenn es lächerlich und völlig unnötig ist.

Pah! Kein Wunder, dass die Weisen, die dieses Viech erkannt hatten, alles daran setzten, es unschädlich zu machen. Aber wie schafft man das, wenn diese Prozesse doch unbewusst ablaufen?

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(Literatur:
Shaw, Andy: A bugfree mind, 3. Aufl., September 2013; http://www.abugfreemind.com
Tolle, Eckhart: The power of NOW. A guide to spiritual enlightenment. New World Library und Namaste Publishing, 2004)